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Plattformökonomie

Technologischer Fortschritt braucht sozialen Fortschritt: Plattformarbeit fair gestalten

Veröffentlicht am 29. Okt 2020

In Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission hat das BMAS einen europäischen Fachaustausch (eine sog. „Peer Review“) zu Plattformarbeit ausgerichtet.

Die Veranstaltung ist Teil einer digitalen Diskussionsreihe zum Thema „Neue Arbeitswelt - menschliche Arbeitswelt“, die das BMAS im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft durchführt.

An dem Austausch nahmen Regierungsvertreter*innen und unabhängige Expert*innen aus Deutschland und dreizehn weiteren EU-Mitgliedstaaten teil. Weitere Teilnehmende waren die Europäische Kommission als Gastgeberin sowie die europäische Wissenschafts- und Forschungseinrichtung Eurofound. Die sozialpartnerschaftliche Perspektive wurde von der IG Metall sowie von verschiedenen Plattformunternehmen, darunter die deutsche Firma Content.de repräsentiert.

Online-Plattformen: Kein Massenphänomen, aber ein Geschäftsmodell, das angekommen ist

Online-Plattformen sind zunehmend in unserem Alltag präsent, z. B. durch Essenslieferanten, Fahrdienste und Haushaltsdienstleistungen, aber auch durch Online-Arbeit wie etwa Textarbeit, Programmierungen und kreative Tätigkeiten. Viele Plattformtätige sind Solo-Selbstständige und haben deshalb nicht den gleichen Zugang zu Sozial- und Arbeitsschutz wie Arbeitnehmer*innen. Auch wenn plattformvermittelte Arbeit nach den bisher vorliegenden Zahlen in keinem EU-Mitgliedsland ein Massenphänomen darstellt, verändern Plattformen, wie wir wirtschaften: zwischen Unternehmen, Anbietern und Nachfragern von Dienstleistungen und auf dem Arbeitsmarkt. Die Entwicklung ist dynamisch: Nach Erkenntnissen der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission hatten im Jahr 2018 etwa zehn Prozent aller erwerbsfähigen Europäer*innen bereits Erfahrung als Plattformarbeiter*innen, während dieses Geschäftsmodell noch vor 15 Jahren kaum existiert hat.

Angesichts dieser Entwicklung beschäftigen sich sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten sowie die EU-Kommission, aber auch weitere Akteur*innen wie das Europäische Parlament oder der Deutsche Bundestag mit dem Thema Plattformökonomie. Im Zentrum steht dabei vielfach die Frage, welcher arbeits- und sozialrechtliche Gestaltungsbedarf hier entstehen kann.

„Neue Arbeit“ muss auch gute Arbeit sein

Auch das BMAS hat sich in einer abteilungsübergreifenden Projektgruppe mit den durch die Plattformökonomie aufgeworfenen Fragestellungen beschäftigt. Für das BMAS gilt dabei, dass auch „Neue Arbeit“ gute Arbeit sein muss und auch in der Plattformökonomie gute Tätigkeitsbedingungen und soziale Absicherung gewährleistet sein müssen. Gleichzeitig sollen Unternehmen die Potenziale der Plattformökonomie als einem innovativen, dynamischen Geschäftsmodell mit niedrigen Zugangsschwellen nutzen können. Dafür bedarf es aus Sicht des BMAS keiner pauschalen „one size fits all“-Lösungen, sondern ggf. auch neuer, passgenauer Regeln.

Ziel der Peer Review war es, ein gemeinsames Verständnis von Plattformarbeit als Grundlage zur Entwicklung von Handlungsansätzen in den Ländern und auf europäischer Ebene zu bilden. Hierzu tauschten sich die Expert*innen über Lage und Lösungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten aus und diskutierten, welche Handlungsoptionen es auf europäischer Ebene geben könnte.

In diesem Sinne betonte Dr. Julia Borggräfe, Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Arbeitswelt“ im BMAS im Rahmen der Veranstaltung:

„Plattformarbeit bietet erhebliche Chancen: Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, einen relativ einfachen Weg (zurück) in den Arbeitsmarkt und Zugang zu neuen Märkten, insbesondere angesichts des grenzüberschreitenden Potenzials der Plattformarbeit. Gleichzeitig ist es wichtig, dass auch bei neuen Arbeitsformen grundlegende Standards sichergestellt werden. Daher müssen auch für Solo-Selbstständige faire Arbeitsbedingungen und sozialer Schutz in der Plattformwirtschaft gewährleistet werden.“

Dr. Julia Borggräfe

Die Teilnehmer*innen an der Peer Review diskutierten zunächst gemeinsam die Chancen und Herausforderungen von Plattformarbeit und inwieweit sie auf den spezifischen Charakter dieser Tätigkeitsform zurückgeführt werden können. Zudem wurden Erfahrungen und Sichtweisen zu aktuellen Regelungen und möglichen künftigen Ansätzen ausgetauscht. Hierbei waren insbesondere auch existierende Best-Practice-Beispiele von Interesse.

Gestaltung der Plattformarbeit: Welche Rolle kann die EU einnehmen?

Insbesondere vor dem Hintergrund des grenzüberschreitenden Charakters von Plattformarbeit war ein zentraler Teil der Peer Review die Frage, welche Rolle die EU bei der Gestaltung von Plattformarbeit spielen kann.

Max Uebe, Referatsleiter in der Generaldirektion für Arbeit, Soziales und Inklusion (DG EMPL) der EU-Kommission bemerkte:

„Der intensive Austausch mit Experten aus 13 Mitgliedstaaten wird uns bei der Entwicklung der EU-Initiative für verbesserte Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie sehr helfen. Während der vergangenen Tage ist diskutiert geworden, dass europaweite Ansätze angesichts grenzüberschreitender Plattformarbeit immer wichtiger werden: z. B. zur Registrierung oder Zertifizierung von Plattformen, für mehr Transparenz, zur Datenerhebung, aber auch in Fragen der Rechtsdurchsetzung, des Wettbewerbsrechts und in Steuerfragen. Mein ganz herzlicher Dank geht an das BMAS, das diese Peer Review während der deutschen Ratspräsidentschaft ausgerichtet hat.“

Max Uebe

Aus Perspektive des BMAS ist die Peer Review ein wichtiger Baustein im Rahmen der Erarbeitung konkreter Regelungsvorschläge sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene gewesen. Die Veranstaltung bot insbesondere auch die Gelegenheit für eine Vernetzung vieler relevanter Expert*innen und Akteur*innen zum Thema Plattformökonomie.

Erfahren Sie mehr zur Plattformarbeit

Im vom BMAS-veröffentlichten Begleitband der EU-Ratspräsidentschaft finden sich mehrere Artikeln zum Thema Plattformarbeit - zum Beispiel „Warum Selbstständige ein Thema für die arbeitspolitische Gestaltung sind“ und „Welche Modelle arbeitsvermittelnder Plattformen gibt es in Europa?