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Plattformökonomie

Modelle arbeitsvermittelnder Plattformen in Europa

Veröffentlicht am 08. Jan 2020

Digitale Plattformen werden als Geschäftsmodell immer beliebter. Welche Unterschiede gibt es und wo könnte politische Regulierung ansetzen, um die individuellen Möglichkeiten und ökonomischen Potenziale zu fördern, und "gute Arbeit“ in der Plattformökonomie sicherzustellen?

Der Begriff der "Plattform" ist bis jetzt noch nicht eindeutig definiert. In Berichten der Europäischen Kommission wird etwa folgende Definition skizziert: "Online platform refers to an undertaking operating in two (or multi-)sided markets, which uses the Internet to enable interactions between two or more distinct but interdependent groups of users so as to generate value for at least one of the groups. Certain platforms also qualify as intermediary service providers." [1] Die deutsche Monopolkommission beschreibt Plattformen schlicht als einen "Intermediär, der verschiedene Nutzergruppen zusammenbringt, sodass diese wirtschaftlich oder sozial interagieren können".[2]

Im Bereich von arbeitsvermittelnden Plattformen – Plattformen, die Arbeits- und Dienstleistungen selbst oder über Unteraufträge an (Solo-)Selbstständige bearbeiten – ist eine gängige Differenzierung die Unterscheidung in ortsunabhängige Tätigkeiten, "Cloudwork", sowie ortsgebundene Tätigkeiten, "Gigwork". Ortsgebundene "Gigwork" kann dabei zum einen mittels Ausschreibung in der "Crowd", d. h. an alle auf einer Plattform registrierten Nutzer*innen, wie auch als Auftrag an Individuen vergeben werden. Beispielhafte Arbeitsbereiche der "Gigwork" sind die Personenbeförderung, Tätigkeiten in der Logistik, bei Lieferdiensten, im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen sowie von Handwerksdienstleistungen. Öffentliche Debatten konzentrieren sich momentan oft auf den Bereich der Gigwork: Wie sind die Arbeitsbedingungen bei Essenslieferdiensten, wie sieht die Entlohnung bei über Plattformen vermittelten Reinigungskräften aus?

Ortsunabhängige "Cloudwork"

Die Unterteilung in Aufträge an die breite "Crowd" sowie die Beauftragung von Individuen ist auch im Bereich der "Cloudwork" ein sinnvoller Ansatz für eine Differenzierung. Beispiele für Aufträge in die Crowd sind hier insbesondere "Microtasks", kleinteilige Tätigkeiten wie etwa das Beschreiben oder die Zuordnung von Bildern nach bestimmten Fragestellungen. An Individuen vergebene Aufträge finden sich beispielsweise bei Design- oder Text-sowie IT-Arbeiten.

Varianten von Plattformarbeit

Die Ausgestaltung der Plattformen und die Art der Abwicklung der Beziehungen zwischen Plattform, Auftraggeber und auf der Plattform Tätigen kann dabei sehr unterschiedlich sein. Plattformen entwickeln ihre Geschäftsmodelle zudem stetig weiter. Im Bereich der Plattformtätigen lassen sich zudem ebenfalls unterschiedliche Personengruppen und Interessenlagen beobachten. So finden sich wenig wie auch hoch qualifizierte Tätigkeiten, Aufträge mit niedrigen oder teils auch höheren Verdienstmöglichkeiten und sowohl Personen, für die Plattformarbeit einen Nebenverdienst darstellt, wie auch Personen, die über Plattformarbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Eine wichtige Aufgabe für die Diskussion über die politische Gestaltung von Arbeit auf bzw. über Plattformen ist die Arbeit an einer einheitlichen Definition des Begriffs. Mit Blick auf die Tatsache, dass Plattformen bzw. Plattformtätige vielfach grenzüberschreitend tätig sind, erscheint zudem eine einheitliche europäische Definition sinnvoll.

  • Übersicht

    Die Grafik bietet einen schematischen Überblick über die Varianten von Plattformarbeit in Europa. Dabei wird nach den Kriterien Ortsgebundenheit, Personengebundenheit und Tätigkeitsbereich aufgefächert. Die Grafik macht die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Plattformen und die vielfältigen Beziehungen zwischen Plattform, Auftraggeber und auf der Plattform Tätigen deutlich. Diese Unterschiede genau in den Blick zu nehmen, ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die politische Gestaltung der Plattformarbeit.

    Datensatz

    Eine modellhafte Einteilung der Varianten der Plattformarbeit lässt sich nach drei Kriterien treffen:

    1. Ortsgebundenheit: Die Frage, ob die Tätigkeit ortsunabhängig durchgeführt werden kann - dann sprechen wir vom sogenannten „Cloudwork“ - oder ob die Tätigkeit ortsgebunden durchgeführt wird. In diesem Fall sprechen wir vom „Gigwork“.
    2. Personengebundenheit: Im Bereich des Cloudwork sind sowohl Aufträge an die „Crowd“- also die Gesamtheit der auf einer Plattform für eine bestimmte Tätigkeit in Frage kommenden Personen; wie auch die individuelle Vergabe einer Tätigkeit an eine konkrete Person denkbar. Dieselbe Einteilung lässt sich auch im Bereich des Gigwork vornehmen.
    3. Tätigkeitsbereich: Im Bereich des Cloudwork sind bei der Vergabe an die Crowd sowohl die Portionierung von Aufträgen in eine Vielzahl von Kleinstaufträgen wie auch die Ausschreibung von Kreativwettbewerben denkbar. Bei der Variante der individuellen Vergabe eines Auftrags kommt die Tätigkeit hergebrachter freiberuflicher Arbeit nahe. Im Bereich des Gigwork sind bei Vergaben an die Crowd als Tätigkeit vor allem ortsgebundene Kleinstaufträge denkbar. Im Fall der Beauftragung von Individuen sind beispielsweise Lieferdienste, Haushaltstätigkeiten oder Personenbeförderung denkbar.

    Darstellung

    Die Form der Darstellung ähnelt einer - liegenden - Baumstruktur, die insgesamt drei Ebenen hat, die von links nach rechts immer weiter verzweigen. Auf den drei Ebenen findet eine immer detailliertere Auffächerung nach den bereits genannten Kriterien Ortsgebundenheit, Personengebundenheit und Tätigkeitsbereich statt.

Ausgangspunkt für mögliche Regeln für die Plattformökonomie könnte sein, nur solche Plattformen in den Blick zu nehmen, die Regelungen bezüglich Vertragsgestaltung und Zahlungsmodalitäten treffen, also in irgendeiner Weise Einfluss auf die Vertragsgestaltung bzw. -durchführung nehmen, und reine Marktplätze von einer Regelung auszunehmen. Dies folgt daraus, dass bei einem reinen Marktplatz, der keinerlei Einfluss auf die Vertragsbestimmungen nimmt und etwa die Preisgestaltung vollständig den Vertragsparteien überlässt, kein Verhalten seitens der Plattform vorliegt, das eine entsprechende Verantwortlichkeit der Plattform für die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten der Plattformtätigen begründet. Es handelt sich dann nicht um eine Konstellation, in der sich die Besonderheiten des Geschäftsmodelles der Plattformökonomie verwirklichen. Arbeitsvermittelnde Plattformen entwickeln sich dynamisch. Für viele Menschen bieten Plattformen gute Möglichkeiten, ihren individuellen Möglichkeiten angepasste berufliche Tätigkeiten zu übernehmen. Zugleich wird offensichtlich, dass Plattformen oft nicht einfach nur Vermittler sind, sondern direkt und indirekt entscheidenden Einfluss auf die Art der Durchführung der Arbeit und die Entlohnung nehmen. Ziel sollte sein, die neuen individuellen Möglichkeiten und ökonomischen Potenziale der Plattformökonomie zu fördern, aber zugleich "gute Arbeit" auch in der Plattformökonomie sicherzustellen.

Dieser Text stammt aus einer Publikation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember 2020. Der Begleitband informiert in wissenschaftlichen Beiträgen, Interviews, Standpunkten und Infografiken über die Schwerpunktthemen des BMAS während des deutschen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union. Dadurch möchte das BMAS den Dialog innerhalb der EU stärken und gemeinsam mit den europäischen Arbeits- und Sozialministerinnen und -ministern EU-weite Handlungsbedarfe identifizieren.

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