Fellowship-Programm
Was ist KI und wenn ja, wie viele? Zur Debatte um den Begriff der Künstlichen Intelligenz
Veröffentlicht am 24. Okt 2022
Ob im Alltag oder der Arbeitswelt – immer selbstverständlicher nutzen wir Anwendungen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Doch was steckt hinter dem Begriff der KI? Warum kann er problematisch sein und wie sehen mögliche Alternativen aus? Mit diesen Fragen setzen sich die Abteilung Denkfabrik-Fellows Mareike Winkler und Sonja Köhne aus unterschiedlichen Perspektiven im Rahmen ihrer Forschungsprojekte auseinander.
Science-Fiction prägt unsere Vorstellungen von KI
Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland assoziiert Künstliche Intelligenz (KI) mit menschenähnlichen Robotern wie Commander Data oder dem Terminator. Eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für Informatik im Jahr 2019 hat gezeigt: Fiktive Darstellungen aus Science-Fiction-Filmen prägen unsere Vorstellungen von KI. Mit den KI-Systemen, die in der heutigen Zeit zum Einsatz kommen, haben diese Vorstellungen jedoch wenig zu tun.
Problemfelder des KI-Begriffs
- „Starke KI” und „schwache KI"
Oftmals wird der KI-Begriff im gesellschaftlichen Diskurs wortwörtlich verstanden und mit Assoziationen aus Science-Fiction-Filmen in Verbindung gebracht. Von „starker KI”, also beispielsweise tatsächlich intelligenten künstlichen SciFi-Wesen, die uns Menschen allgemein überlegen sind, sind wir aber weit entfernt. Dass Maschinen hingegen menschliche kognitive Fähigkeiten nachahmen können, um konkrete (Teil-)Probleme zu lösen („schwache KI”), ist schon längst Realität (zur Unterscheidung „starker” und „schwacher” KI siehe auch Russell/Norvig 2021). - Was ist Intelligenz?
Eine Herausforderung für die Unterscheidung in „starke” und „schwache” KI ist der Intelligenz-Begriff an sich, der bislang nicht abschließend definiert ist. Wenn nicht bestimmt werden kann, was menschliche Intelligenz ist, erschwert das unweigerlich die Frage, ob eine künstliche Intelligenz überhaupt möglich ist. Maschinen die Eigenschaften menschlicher Intelligenz zuschreiben, sehen viele kritisch, weil damit Ängste und falsche Erwartungen geweckt werden können. Das zeigt auch jüngst die Debatte um das Google Chatbot-Projekt „LaMDA“, einem Sprachmodell, in welchem ein Entwicklungsingenieur von Google eine Art Bewusstsein erkannt haben will. - KI als Werbemittel
Ein Blick in die Funktionsweise von KI-Anwendungen zeigt in manchen Fällen: Nicht immer ist KI drin, wo KI draufsteht. Den Hype um Künstliche Intelligenz nutzen Technologiehersteller seit einigen Jahren zu Marketingzwecken. So werden häufig „KI-Systeme“ verkauft oder beschrieben, die bei genauer Betrachtung nicht auf Methoden der Künstlichen Intelligenz basieren, sondern konventionelle Software-Produkte darstellen. In manchen Fällen funktionieren KI-basierte Anwendungen schlichtweg nicht, was zu schwerwiegenden Auswirkungen führen kann.
„Wer hat‘s erfunden?“ – KI als Teilbereich der Informatik
Geprägt wurde der Begriff Künstliche Intelligenz in den 60er Jahren von US-amerikanischen Informatikern, die vermuteten, dass das menschliche Lernen (und andere Merkmale der Intelligenz) präzise genug beschrieben werden können, um eine Maschine zur Simulation dieser Vorgänge zu entwickeln (Russell/Norvig 2021). Die zugrundeliegende Technologie wurde Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz) getauft. Fachlich stellt KI ein Teilgebiet der Informatik dar. Kurz gesagt beschreibt es den Versuch, menschliches Verhalten, z.B. die Entscheidungsfindung, durch Computerprogramme nachzuahmen.
Funktionsweisen künstlicher Intelligenz
Vereinfacht dargestellt arbeitet ein KI-basiertes Computerprogramm auf Basis von Daten und Algorithmen. Eine besondere Rolle spielen dabei die Daten, auf deren Basis Algorithmen Entscheidungsregeln ableiten können. Es lassen sich grob zwei Varianten von KI-Systemen unterscheiden:
Werden die Daten in Form von Wissensbeständen, also großen Informationsmengen zu einem speziellen Fachgebiet, zur Verfügung gestellt und die Algorithmen, z.B. in Form von Entscheidungsregeln, sind vorgegeben, handelt es sich um ein regelbasiertes KI-System. Diese sogenannten Expertensysteme können aus den Wissensbeständen neues Wissen ableiten, z.B. zur Diagnose und Behandlung im medizinischen Bereich. Expertensysteme, deren Entscheidungsregeln nachvollziehbar sind, werden dem weiten Feld der KI zugeordnet.
Leitet ein Algorithmus die Entscheidungsregeln selbstständig ab, indem er in Beispieldatensätzen Muster identifiziert und Zusammenhänge erkennt, spricht man von Maschinellem Lernen (ML). ML-Systeme können mit ihren selbstständig erstellten und (fortlaufend) angepassten Entscheidungsregeln unbekannten neuen Input häufig deutlich schneller verarbeiten als konventionelle Software-Systeme. Im Vergleich zu Expertensystemen sind die Entscheidungsregeln von ML-Systemen für den Menschen häufig sehr viel schwieriger nachzuvollziehen.
Anwendungsorientierte Beschreibungen
Abhängig vom Anwendungsgebiet und Betroffenenkreis wirft der Einsatz von KI spezifische Fragen auf. Zwei Forschungsprojekte im Rahmen des Research-Fellowship-Programms der Abteilung Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft des BMAS zeigen, welche alternativen Bezeichnungen möglicherweise besser darstellen, welche Fragen und Herausforderungen beim Einsatz von „intelligenter“ Software in verschiedenen Anwendungskontexten eine Rolle spielen.
- Algorithmic Decision Making in der öffentlichen Verwaltung: Im Kontext der öffentlichen Verwaltung wird auch der Begriff Algorithmische Entscheidungssysteme bzw. Algorithmic Decision Making Systems, kurz ADM-Systeme, genutzt. Es lassen sich zwei Arten von Ergebnissen eines ADM-Systems unterscheiden: Der Wert, der mithilfe von Daten und Algorithmen berechnet wird, kann eine bestimmte Kategorie (Klassifizierung/Einstufung) oder einen Risikowert bzw. eine Wahrscheinlichkeit darstellen. Entscheidungen von Verwaltungsmitarbeiter*innen lassen sich durch diesen Output vorbereiten oder auch vollständig automatisieren. (Im letztgenannten Fall treffen KI-Systeme selbstständig Entscheidungen, die zuvor durch den Menschen ausgeführt wurden. Dies ist nur unter bestimmten Bedingungen zulässig.) Deshalb stellt der ADM-Begriff, der auch als Abkürzung für Automated-Decision Making Systems genutzt wird, die Bedeutung von KI im Kontext der Verwaltung und die damit verbundenen (ethischen) Fragen mitunter präziser dar als der KI-Begriff.
- People Analytics im Personalwesen: e-HRM, People Analytics, algorithmisches (Personal-)Management – die Bedeutung datengetriebenen Personalmanagements nimmt seit Jahren zu und dominiert die Listen der Human Resources (HR) Trends. Die automatisierte Auswertung von Personaldaten wird in der Industrie häufig unter dem breiten Begriff People Analytics zusammengefasst. In der Forschung ist oft auch die Rede von algorithmischem Personalmanagement. Im Kontext von Arbeitsplattformen hingegen ist die Bezeichnung algorithmisches Management verbreitet. Ein zentraler Unterschied liegt darin, dass hier häufig ein hoher Automatisierungsgrad der Entscheidungen vorliegt, während bei People Analytics oder algorithmischem Personalmanagement meistens lediglich eine Entscheidungsunterstützung stattfindet. All diese Systeme können selbstlernende oder KI-Elemente enthalten und liefern so umsetzbare Erkenntnisse in die Arbeitsleistung. Letztlich umfassen aber auch beim Einsatz im Personalwesen automatisierte Systeme drei zentrale Merkmale: Erstens verarbeiten sie maschinenlesbare (Personal-)Daten als Input, zweitens verarbeiten sie diese automatisiert, und drittens unterstützen oder automatisieren sie eine personalbezogene Entscheidung als Ergebnis.
Weshalb der KI-Begriff politisch ist
Technologien, die heute zum Einsatz kommen, sind der schwachen KI zuzuordnen. Ein wichtiger Aspekt ist daher, im politischen und gesellschaftlichen Diskurs anstelle des KI-Begriffs praktische Begriffe zu verwenden, aus denen für alle deutlich wird, über welche Art von KI wir aktuell diskutieren. Damit können Missverständnisse und Ängste, etwa vor einer Kontrolle der Menschheit durch Künstliche Intelligenz, vermieden oder zumindest abgebaut werden. Außerdem können wir die Diskussion dann darauf konzentrieren, was KI als Grundlagen- und Querschnittstechnologie tatsächlich kann und wofür sie im Sinne der Menschen eingesetzt werden kann. Damit würde auch die Diskussion um die erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI klarer.
Weiterführende Informationen
- Russell, S. / Norvig, P. (2021): Artificial Intelligence. A Modern Approach. Global Edition. 4. Auflage. Pearson.
- re:publica Video von Frederike Kaltheuner: Fake AI
- OECD-Programm „Artificial Intelligence in Work, Innovation, Productivity and Skills“ (AI-WIPS)