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Fellowship-Programm

Mehr als Daten: People Analytics zwischen Erkenntnisgewinn & Privatsphäre

Veröffentlicht am 04. Dez 2023

Der Schutz und verantwortungsvolle Umgang mit den Daten von Beschäftigten ist für Unternehmen von großer Bedeutung. Gleichzeitig kann die Analyse einer großen Menge solcher Daten wichtige strategische Erkenntnisse liefern. Doch wie genau gestalten Unternehmen solche Analysen in der betrieblichen Praxis? Sonja Köhne fasst in diesem Beitrag Erkenntnisse hierzu aus ihrem Research-Fellowship zusammen. 

Die Verarbeitung von Beschäftigtendaten stellt hohe Anforderungen an Unternehmen

People Analytics bedeutet, dass Unternehmen die Daten ihrer Beschäftigten auswerten, um bessere strategische Personalentscheidungen zu treffen.
Vergleichbar mit den Datenanalysen in anderen Unternehmensbereichen, wie etwa Einkauf oder Finanzen, ist People Analytics jedoch nicht. Denn die Daten, die hier analysiert werden, bedürfen einem hohen Schutz und sorgfältigen Umgang. Sie können zum Beispiel Kompetenzen, Fehlzeiten oder Gehälter betreffen. Für Beschäftigte können die Analysen und Entscheidungen, die auf Basis dessen getroffen werden, weitreichende Auswirkungen haben. Zudem sind Beschäftigtendaten häufig besonders komplex, unvollständig oder liegen nur in vergleichsweise kleinen Mengen vor. Deshalb müssen Beschäftigtendaten für die Analyse oftmals zunächst aufwendig vorbereitet werden. 

“[People Analytics] ist deswegen besonders, weil die Daten besonders kritisch sind. Es geht [...] um Mitarbeiterdaten und alle unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben [...] zu Recht den Anspruch, dass wir mit solchen Daten keinen Schindluder treiben [...].“ – aus einem Interview mit eine:r People-Analytics-Manager:in 


Für die Analyse werden unterschiedliche Methoden und Softwares eingesetzt, die sich stets an der Fragestellung des jeweiligen Anwendungsfalls orientieren. Während Daten seit jeher eine wichtige Rolle im Personalwesen spielen, heben neue Analyseverfahren wie solche, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, die Möglichkeiten der Personaldatenanalyse auf eine neue Stufe. Praktiker:innen setzen Künstliche Intelligenz bereits heute für People-Analytics-Anwendungsfälle ein, betonen jedoch auch die vergleichsweise hohen Ressourcen, die ihr Einsatz im Vergleich zu anderen Methoden erfordert. 

“KI [...] ist [...] wie [...] ein Hammer. Und manchmal macht man einfach den Fehler, dass man auch eine Schraube mit dem Hammer [...] einschlagen möchte. [...] [D]as ist einfach nur eine Methode. Und wenn ich [...] keinen Use Case habe, dann brauche ich die Methode [...] nicht [...]. [People Analytics] ist immer Use Case getrieben. Was schafft den größten Mehrwert und hat einen relativ geringen Aufwand? Und dann die Methode einzusetzen.” – aus einem Interview mit eine:r Personalleiter:in 
 

People Analytics kann bei dringenden Fragen des Personalmanagements unterstützen

Gut dokumentierte Fälle datenbasierter Überwachungs- und Steuerungsmechanismen auf digitalen Arbeitsplattformen unterstreichen die Risiken eines stark automatisierten oder algorithmischen Managements. People Analytics in traditionellen Unternehmen unterscheidet sich jedoch insofern hiervon, als dass Analysen häufig weniger stark automatisiert sind und eine eher unterstützende Funktion für das Management einnehmen. Trotz seiner Risiken und problematischer Anwendungsmöglichkeiten muss People Analytics nicht synonym mit Überwachungstechnologien stehen. Häufige betriebliche Anwendungsfälle betreffen zum Beispiel den Fachkräftemangel oder die Erreichung von Diversitätszielen. Hier geben anonymisierte oder aggregierte Daten Organisationen darüber Auskunft, für welche Unternehmensbereiche mögliche Personalengpässe entstehen können oder wie hoch der interne Gender Pay Gap ist. Auch die Frage, warum Beschäftigte gerne für eine Organisation arbeiten oder sie verlassen, wird im Kontext des Fachkräftemangels relevant. Einblicke darin geben anonymisierte Beschäftigtenbefragungen, die qualitative und quantitative Daten kombinieren – teils unterstützt durch Daten aus externen Bewertungsportalen. Zunehmend im Fokus steht auch die Auswertung von Daten über die Kompetenzen von Beschäftigten, um mögliche Karriere- und Entwicklungspfade aufzeigen zu können. 

Unterschätzte menschliche Arbeit hinter den Analysen

Ohne eine saubere Datengrundlage lassen sich Erkenntnisse für das Management nicht sinnvoll generieren. Hinter People Analytics steckt jedoch weitaus mehr als nur Daten. Es erfordert viel menschliche Arbeit, die bereits bei der Entwicklung von Anwendungsfällen beginnt. Datenexpert:innen müssen zunächst die Anforderung des Managements und das dahinter liegende Problem verstehen. Aber auch die Interpretation der Ergebnisse erfordert viel menschliche Übersetzungsleistung und Validierung, insbesondere wenn sie wichtige Entscheidungen – etwa im Kontext von Gehältern – beeinflussen können. Gleichzeitig müssen aus den Analysen umsetzbare Maßnahmen für das Unternehmen abgeleitet werden, deren Wirkung überprüfbar sein muss. Wichtig für People-Analytics-Teams sind daher nicht nur analytische Kenntnisse, sondern auch gute “Storytelling-Fähigkeiten”. Ausnahmen hiervon können Anwendungsfälle für operative Entscheidungen bilden, die zum Beispiel Beschäftigtendaten auswerten, um Empfehlungen für Schichtpläne zu generieren. 

‘Ich erlebe es immer wieder, dass jemand sagt ’Ich habe hier eine Auswertung aus dem Tool, kannst du das nochmal bitte [...] validieren, ob das stimmt?’ [...] [D]ass ein Entscheidungsträger jemanden haben will, dem er [...] als Experte oder als Person vertraut, mehr als ein[em] [...] Analyse-System, da werden wir, glaube ich, nie ganz davon wegkommen.’ – aus einem Interview mit eine:r People-Analytics-Manager:in

People Analytics im Spannungsfeld zwischen Erkenntnisgewinn und Privatsphäre gestalten

People Analytics bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen dem größtmöglichen datenbasierten Erkenntnisgewinn für Unternehmen und der Wahrung der Privatsphäre von Beschäftigten. Es stellt daher hohe Anforderungen an alle Interessengruppen, die an People-Analytics-Projekten beteiligt sind. Dazu gehören neben Management und Analyst:innen insbesondere auch Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte. Wichtiger Erfolgsfaktor für die betriebliche Verhandlung von Anwendungsfällen ist es daher, alle Beteiligten frühzeitig in ein Gespräch zu bringen, in dem die Ziele und Hintergründe von Analysen transparent diskutiert werden. Die Interessengruppen müssen dabei fortlaufend eingebunden werden, da sich die Anforderungen im Verlauf eines Anwendungsfalls verändern können. 

“Ich muss Transparenz erzeugen. Ich muss [...] erklären warum, wieso, weshalb, wie funktioniert das Ganze? [...] Wenn ich das Gefühl habe, das ist totaler Mist [...], dass ich mich an jemanden wenden kann und dann wird das angeguckt. [...] Also dieses ‘Ich habe eine Ahnung, was da passiert, und ich bin dem nicht ausgeliefert’ ist [...] ganz wichtig.” — Interviewzitat eine:r Betriebsrät:in


Gleichzeitig gilt es jedoch auch, technische Sicherheitsvorkehrungen zu nutzen. Da das Ziel von People Analytics in der Regel die Verbesserung strategischer Entscheidungen ist, sind anonymisierte oder aggregierte Daten häufig ausreichend – und schließen missbräuchliche Auswertungen über individuelle Beschäftigte von vornherein aus. Für das Management ist der Mehrwert häufig größer, zu wissen, warum Beschäftigte grundsätzlich die Organisation verlassen, statt zu wissen, ob einzelne Beschäftigte die Organisation verlassen werden. 

“[D]ie Kollegen [...] kommen [zu mir] und sagen: 'Ja, aber ich will doch gar nicht wissen, was die einzelne Person macht [...], sondern ich möchte doch Trends erkennen'. [...] Ich glaube, dass man mit Anonymisierung da sehr, sehr viel erreichen kann und auch sehr viele Probleme einfach umschiffen kann.” – aus einem Interview mit eine:r Datenschutzbeauftragte:n 

Rahmenbedingungen für sicheren und verantwortungsvollen Umgang schaffen

People Analytics umfasst vielfältige Anwendungsfälle. Daher geht es in den aktuellen Debatten nicht darum, People Analytics pauschal als “gut” oder “schlecht” zu bewerten. Vielmehr müssen wir darüber diskutieren, wie wir es so gestalten können, dass ein datenbasierter Erkenntnisgewinn für Unternehmen möglich ist, während die Privatsphäre der Beschäftigten gewahrt bleibt. Die Herausforderungen sind dabei nicht rein technischer Natur; die Gestaltung von People Analytics wird betrieblich und politisch verhandelt. 

“[In den USA] gibt es noch viel mehr [...] Unternehmen, die Dinge machen, die ich [...] als nicht so seriös betitelt habe. [...] [M]eine Vermutung ist, dass wir hier [in Deutschland] eine eigene kleine People-Analytics-Industrie kriegen werden, die sich dann hier diesen Rahmenbedingungen stellt.” – aus einem Interview mit einem People-Analytics-Hersteller


Um eine Verhandlung darüber zu ermöglichen benötigen wir mehr empirische Einblicke in den Umgang mit Beschäftigtendaten, die über den Kontext digitaler Arbeitsplattformen hinausgehen. Eine nuancierte Auseinandersetzung mit den Risiken ist dabei wichtig, um diese eindämmen zu können. Gleichzeitig sollte der Blick sich auch auf mögliche Potenziale für Beschäftigte richten. Nur so können praktische Rahmenbedingungen für einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Beschäftigtendaten geschaffen werden.